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Ein neuer Blick auf unsere kosmische Heimat: IceCube entdeckt Neutrinos aus der Milchstraße

 

Die Herkunft eines energiereichen Regens relativistischer Teilchen, der beständig auch auf unsere Erdatmosphäre einprasselt, ist eines der größten Rätsel der modernen Astroteilchenphysik. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern ist diesem Rätsel auf der Spur. Mit dem IceCube Detektor am Südpol der Erde konnten sie jetzt erstmals Neutrinos aus unserer Milchstraße nachweisen.

Der Anblick unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, im Sommer von einem dunklen Standort aus, gehört für viele Menschen zu den beeindruckendsten Naturerlebnissen überhaupt. Schon mit dem bloßen Auge vermittelt das sich über den Himmel erstreckende, schwach leuchtende und von Dunkelwolken durchsetzte Sternenband einen Eindruck der vielen Milliarden Sterne, die unsere kosmische Heimat bevölkern. Auch wenn die Menschheit erst in der Neuzeit die Struktur unserer Galaxie enträtseln konnte, so ist doch der Anblick der Milchstraße im sichtbaren Licht seit dem Altertum ein Teil unseres Naturerbes. Mit dem IceCube Neutrino-Observatorium konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun zum ersten Mal ein Bild der Milchstraße mit Hilfe von Neutrinos erstellen – sehr durchdringenden Elementarteilchen, die Zeugnis von extrem energiereichen Vorgängen ablegen. Ihre Ergebnisse präsentieren sie am 29.06.2023 im Fachmagazin Science.

Faszinierend ist, dass – ganz anders als im elektromagnetischen Spektrum, also bei Licht verschiedener Wellenlängen – im Regime der Neutrinos das ferne Universum unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft weit überstrahlt. Um unsere eigene Galaxie zu entdecken, war daher die Zusammenarbeit vieler herausragender Forscherpersönlichkeiten über alle Grenzen hinweg notwendig", sagt Francis Halzen, Professor an der University of Wisconsin in Madison, und Principal Investigator von IceCube.

Die Energie der nun von IceCube nachgewiesenen Neutrinos ist allerdings Millionen bis Milliarden mal größer als die Energie des stetigen Stroms solcher Teilchen, der uns aus Kernfusionsreaktionen im Kern unserer Sonne erreicht. Die nun nachgewiesenen Neutrinos stammen also ganz offensichtlich nicht aus den Sternen der Milchstraße selbst, sondern eröffnen uns einen Blick auf extrem energiereiche Teilchen – die sogenannte kosmische Strahlung – die den Raum zwischen den Sternen durchdringt, und auch beständig auf die Atmosphäre unserer Erde einprasselt.

Von der Amundsen-Scott-Südpolstation aus betrieben, umfasst der IceCube Detektor einen Kubikkilometer antarktisches Eis, in das über 5.000 lichtempfindliche Sensoren eingebracht wurden. Zwar durchdringen fast alle Neutrinos die Materie um uns herum fast ungehindert, aber ab und an wechselwirkt dann doch ein solches kosmisches Neutrino nach seiner langen Reise durch das Universum in oder in der Nachbarschaft des instrumentierten Eisvolumens. Dann können geladene Elementarteilchen, zum Beispiel Elektronen, entstehen, die in weiterer Folge kurze Lichtblitze im hochtransparenten Eis auslösen, und so das Neutrino und seine ungefähre Herkunft verraten. Auf Grund von Beobachtungen der kosmischen Strahlung, und auch extrem energiereicher Photonen – der Gammastrahlung – aus der Milchstraße wurde bereits vorhergesagt, dass sich aus dem Band der Milchstraße auch Neutrinos nachweisen lassen sollten, denn diese entstehen fast unweigerlich bei der Wechselwirkung energiereicher Protonen und anderer Atomkerne zum Beispiel mit dem Gas und Staub im Raum zwischen den Sternen.

Allerdings stellte sich auch heraus, dass unsere Milchstraße keine extrem starke Neutrinoquelle ist, sondern dass es im Gegenteil viele große Hürden gab, bevor das schwache Signal aus allen Untergründen herausgeschält werden konnte. Um diese Hürden zu überwinden, begannen Forscherinnen und Forscher an der Drexel University (USA) Analysen zu entwickeln, die speziell auf sogenannte "Kaskaden"-Ereignisse im Eis abzielen, bei denen die Energie des ursprünglichen Neutrinos in einer relativ kompakten und annähernd kugelförmigen Region deponiert wird. Da der Untergrund solcher Ereignisse zum Beispiel durch Wechselwirkungen in unserer eigenen Atmosphäre relativ gut beschrieben werden kann, führte diese Auswahl zu einer effektiv höheren Empfindlichkeit für die begehrten Milchstraßen-Neutrinos. Das allein war allerdings noch nicht ausreichend für den ersten Neutrino-Blick der Menschheit auf unsere eigene Heimatgalaxie. Der endgültige Durchbruch gelang erst durch die Anwendung von Methoden des maschinellen Lernens, die an der TU Dortmund entwickelt wurden, und die die Identifizierung der von Neutrinos erzeugten Kaskaden sowie die Rekonstruktion ihrer Richtung und Energie deutlich verbesserten.

"Die Entwicklung neuer Methoden ermöglichte es uns, eine Größenordnung mehr Neutrino-Ereignisse, und diese auch noch mit besserer Rekonstruktion ihrer Herkunfts-Richtung zu erhalten, was im Endeffekt dazu führte, dass wir die Empfindlichkeit von IceCube um einen Faktor drei im Vergleich zu früheren Suchen steigern konnten", sagt IceCube-Mitglied Mirco Hünnefeld, der einer der leitenden Analysatoren für diesen Datensatz war und an der TU Dortmund promoviert.

Der in der Studie verwendete Datensatz umfasste ca. 60.000 Neutrinos aus 10 Jahren IceCube-Beobachtungen. Das sind rund 30 mal so viele Ereignisse wie die Auswahl, die in einer früheren Analyse der galaktischen Ebene unter Verwendung von Kaskaden-Ereignissen herangezogen wurde. Die nun nachgewiesenen Neutrino-Ereignisse wurden mit zuvor veröffentlichten Vorhersagekarten von Regionen am Himmel verglichen, aus denen man besonders viele galaktische Neutrinos erwartete.

"Der wirklich überzeugende Nachweis der Milchstraße als Quelle hochenergetischer Neutrinos hat die strengen internen Tests der Kollaboration überstanden", sagt Ignacio Taboada, Professor am Georgia Institute of Technology (USA) und IceCube-Sprecher. "Der nächste Schritt besteht nun darin, einzelne Neutrino-Quellen innerhalb der Milchstraße direkt zu identifizieren."

Diese und andere Fragen werden in bereits geplanten Nachfolge-Analysen von der IceCube Kollaboration untersucht. Schon jetzt ist aber klar, dass der erstmalige Nachweis hochenergetischer Neutrinos aus der Milchstraße ein völlig neues Fenster zum Studium der energiereichsten Teilchen in unserer kosmischen Umgebung öffnet, und einen bedeutenden Schritt hin zum Verständnis der Herkunft der galaktischen kosmischen Strahlung darstellt. Die enorme Leistungsfähigkeit moderner Methoden des maschinellen Lernens bietet ein großes Zukunftspotenzial, das weitere Durchbrüche in greifbare Nähe rücken lässt. Dieser bedeutende Schritt für die Astronomie und Astroteilchenphysik wurde erst durch die Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern aus vielen verschiedenen Instituten möglich. In Deutschland umfasst diese Kooperation zehn Universitäten und die Helmholtz-Forschungszentrum DESY und KIT. Der weitere Ausbau des IceCube-Detektors und die wissenschaftliche Auswertung der gewonnenen Daten werden ganz maßgeblich durch das BMBF (Förderlinie ErUM-Pro) und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.

Seit 2009 ist die Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Julia Tjus an der IceCube-Kollaboration beteiligt, in enger Partnerschaft mit der TU Dortmund. Zudem ist Anna Franckowiak mit ihrem Lehrstuhl Multiwavelength Astronomy seit 2020 Teil des IceCube-Teams. Die Forschenden arbeiten vor allem an der Suche nach Neutrinoquellen und entwickeln die IceCube-Software weiter, die für die Suche nach astrophysikalischen Neutrinos benötigt wird. Das Bochum-Dortmunder Team konzentriert sich insbesondere auf Analysestrategien, mit denen astrophysikalische Neutrinos am besten sichtbar gemacht werden können. Entscheidend dafür ist die Kombination der Bochumer Expertise zum fundierten theoretischen Hintergrund der Neutrinoemission mit dem Dortmunder Forschungsschwerpunkt zu fortgeschrittenen auf künstlicher Ingelligenz basierenden Analysemethoden. Im Rahmen des SFB 1491 arbeitet die Ruhr-Universität gemeinsam mit der TU Dortmund an der Teilchen-Emission aus der galaktischen Scheibe. „Die in Dortmund erzielten Ergebnisse sind ein idealer Ausgangspunkt für uns hier in Bochum, um weiter an dem Verständnis der Neutrinoemission der Milchstraße zu arbeiten“, kommentiert Julia Tjus.

"Dieser lang erwartete Nachweis von Wechselwirkungen der kosmischen Strahlung in der Milchstraße ist auch ein wunderbares Beispiel dafür, was wir erreichen können, wenn wir die Anwendung von modernen Methoden des maschinellen Lernens in der Grundlagenforschung weiter konsequent vorantreiben", sagt Wolfgang Rhode, Professor für Astroteilchenphysik an der TU Dortmund, IceCube-Mitglied, und Betreuer der Doktorarbeit von Mirco Hünnefeld.

DOI: 10.1126/science.adc9818

Kontakt:

  • Prof. Dr. Dr. Wolfgang Rhode
    • wolfgang.rhode@tu-dortmund.de
    • +49 (0)231 755-3550
  • Mirco Hünnefeld
    • mirco-huennefeld@tu-dortmund.de

Congratulations to Prof. Wolfgang Rhode and Prof. Francis Halzen

 

We congratulate Prof. Francis Halzen to his honorary doctorate award and Prof. Wolfgang Rhode who received the honorary professorship. 


(from left to right: Prof. Rhode, Prof. Halzen, Prof. Tjus)


Support for Ukrainian master students in physics

 

The Ruhr Astroparticle and Plasma Physics Center (RAPP Center) offers financial support to Ukrainian students with a Bachelor degree in Physics to continue their studies at the Ruhr University Bochum , TU Dortmund University , or Bergische Universität Wuppertal, meant to cover housing and living costs. This financial support can be granted for a maximum duration of two years, with the aim to perform the one year master studies (if not already taken somewhere else) and a one year master’s thesis in one of the research areas of the RAPP Center.

This offer is limited to students who have studied in the Ukraine at the beginning of the war, and who have already received a Bachelor of Science degree in Physics. Applications can be handed in via email to Prof. Dr. Julia Tjus, director of the RAPP Center (julia.tjus@rub.de). Please send a short application letter and attach if possible your Bachelor of Science Degree and transcript of records from your current university. If you have a preference for one of the three universities, please indicate this in your application as well.
Find more information at RAPP Center.



DFG fördert die Forschung im RAPP Center mit 10 Millionen Euro zur Untersuchung des Wechselspiels der kosmischen Materie

 

Am nächtlichen Sternenhimmel sehen wir mit dem bloßen Auge Jahr für Jahr die gleichen Konstellationen, so dass der Eindruck entstehen könnte, es handele sich um ein statisches Konstrukt – ein Gedanke, der sich über Jahrhunderte hielt, bevor es Anfang des 20. Jahrhunderts gelang nachzuweisen, dass das Universum ein dynamisches System ist, das mit einem „großen Knall“ entstanden ist und sich immer weiter ausdehnt.
Auch auf kleineren Skalen ist die Dynamik hoch, Sterne entstehen und vergehen in mächtigen Supernovaexplosionen und beeinflussen so die Dynamik der Galaxien, in denen sie beherbergt sind. Durch die Explosionen entstehen Wolken von Teilchen oder aus Plasma, die mit kosmischen Magnetfeldern wechselwirken. Das Wechselspiel der kosmischen Materie, das diese Prozesse antreibt, ist Leitthema des Sonderforschungsbereichs (SFBs) 1491, der aus den Aktivitäten des Ruhr Astroparticle and Plasma Physics Center (RAPP Center) hervorgegangen ist: „Wie werden die verschiedenen Formen von Materie und Energie ineinander umgewandelt? Wie werden die kleinsten, elementaren Teilchen zu den höchsten, jemals beobachteten Energien beschleunigt? Wie entstehen im Plasma der Galaxien großräumige Magnetfeldstrukturen? Welchen Einfluss hat die dunkle Materie auf die Dynamik der Systeme?“, nennt Prof. Dr. Julia Tjus, Sprecherin des neuen SFB von der Ruhr-Universität Bochum, einige der Forschungsfragen.
16 führende Forschende haben sich zusammengetan, um ein vereinheitlichtes Bild der nachweisbaren Spuren der wechselwirkenden Materie zu erstellen. 11 Forschende kommen von der Ruhr-Universität Bochum, 4 arbeiten an der TU Dortmund und die Bergische Universität Wuppertal ist mit einem Forschenden beteiligt. Sie alle wollen verstehen, wie kleine Galaxien wie unsere Milchstraße funktionieren, aber auch große, in deren Kern sich ein aktives, supermassives schwarzes Loch befindet. Hierzu werden theoretische astrophysikalische Modelle mit experimentellen Beobachtungen aller Wellenlängen und Teilchen verknüpft. Des Weiteren liefert der SFB Wissen über die fundamentalen Eigenschaften der Materie aus theoretischen Rechnungen, kosmologischen Beobachtungen und irdischen Experimenten zu Teilchenwechselwirkungen: „Dieses Wissen kann direkt in den astrophysikalischen Modellen verwendet werden. Die Kombination der beiden Forschungsstränge liefert ein detailreiches und präzises Bild, wie die Galaxien funktionieren und sich entwickeln“, kommentiert Prof. Dr. Wolfgang Rhode von der TU Dortmund, Co-Sprecher im SFB.


Kooperationspartner


Dieses Wechselspiel der kosmischen Materie zu verstehen ist nur möglich, wenn Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Bereichen der Physik zusammenarbeiten: An der RUB ist die Zusammenarbeit zwischen der Astro- und Plasmaphysik wohletabliert, hinzu kommt die Expertise aus der Teilchen- und Astroteilchenphysik an den benachbarten Universitäten Dortmund und Wuppertal. Die Verknüpfungen der Teilgebiete Astro-, Plasma-, Astroteilchen- und Teilchenphysik werden seit 2015 im Ruhrgebiet im RAPP Center untersucht. Die Arbeiten im Rahmen des SFBs werden die Forschung im RAPP Center in den nächsten Jahren signifikant voranbringen.