04.04.2023
Windkanalversuche gehören seit vielen Jahren zu den wichtigsten Entscheidungshilfen bei der Lösung komplizierter aerodynamischer Aufgaben.
Ursprünglich wurden sie für Anwendungen in der Flugzeug- und Fahrzeugaerodynamik entwickelt. Die Windströmung, die z.B. Formel 1 - Fahrzeugmodellen zugeführt wird, kann als sehr glatt und turbulenzarm bezeichnet werden. Im Gegensatz hierzu basieren Windkanäle, die für Bauwerksuntersuchungen eingesetzt werden, auf einer naturgetreuen
Simulation des rauen und turbulenten atmosphärischen Windes. Im Rahmen langjähriger Forschung auf dem Gebiet der Gebäudeaerodynamik
wurde ein spezieller Windkanaltyp, der so genannte Grenzschichtwindkanal, entwickelt. Gezielte Einbauten steuern hier die Windkanalströmung
derartig, dass der ‚Laborwind’ für den Modellversuch maßstäblich zu den Stürmen in der Natur nachgebildet wird. Typische Gebäude, die in einem Grenzschichtwindkanal untersucht werden, sind Großbauwerke wie Fußballstadien, Brücken, Fernmeldetürme, Hochhäuser oder Kühltürme. Untersuchungsgegenstand kann z.B. die Ermittlung der Windlast sein, oder auch Tests zur
Schwingungsanfälligkeit oder zum Windkomfort.
Die Forschungsgruppe Windingenieurwesen und Strömungsmechanik (WISt) vertritt an der Fakultät die Lehre und Forschung in der Bauwerksaerodynamik, in den damit in Verbindung stehenden Gebieten der Dynamik der Tragwerke - insbesondere der winderregten Zufallsschwingungen - und der probabilistischen Sicherheitstheorie sowie in der Strömungsmechanik im Bauwesen. Sie ist aus der Arbeitsgruppe Aerodynamik im Bauwesen hervorgegangen, die von 1974 bis zum Jahr 2001 auf diesen Forschungsgebieten tätig war. WISt betreibt den Grenzschichtwindkanal des Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau der Ruhr-Universität Bochum, der im Jahre 1977 unter der Leitung des damaligen Inhabers der Arbeitsgruppe, Prof. Dr.-Ing. H.-J. Niemann, aufgebaut und seitdem erfolgreich unterhalten und ausgebaut wurde, s. Bild 1. Der Windkanal befand sich bis zum März des Jahres im Gebäude IA auf der Ebene 0 und war der letzte Nutzer des Gebäudes. Nun wurde der Grenzschichtwindkanal an einen neuen Standort gebracht. Bereits im November letzten Jahres wurde der Betrieb des Grenzschichtwindkanals zum Zwecke der Umzugsvorbereitungen vorübergehend eingestellt. Die Umzugsarbeiten begannen mit dem Rückbau der Datenleitungen, der piezoelektrischen Druck- und Hitzdrahtgeschwindigkeitsmesssysteme sowie der optischen Messsysteme, der Tracergaseinrichtung, des Brückenversuchsstands, der gesamten Datenkonditionierung und der Datenerfassung. Die Versuchsvorbereitungswerkstatt, das Materiallager und das Modellarchiv wurden ebenfalls verpackt.
Bild 1: Grenzschichtwindkanal im Gebäude IA vor dem Umzug
Seit Mai 2013 wurden die Räume des neuen Standortes vorbereitet und mit Drehstromanlagen sowie
Lüftungssystemen ausgerüstet. Es wurden eine geeignete, längliche Windkanalhalle sowie mehrere
Nebenräume vorbereitet, ein größerer für eine Modellwerkstatt. Dazu gehört auch ein speziell
belüftetes Lager für Tracer- und Reinigungsgase. Die örtliche Situation ist sehr geeignet für den
Weiterbetrieb des Grenzschichtwindkanals. Die Räumlichkeiten befinden sich direkt oberhalb des Aerodynamikwindkanals, der von Professor Klaus Gersten, Fakultät für Maschinenbau, eingeworben und errichtet wurde. Hierbei handelt es sich um einen Windkanal mit geschlossener Messstrecke und ebensolcher Rückströmung, also um einen Windkanal nach Göttinger Bauart. Er wurde im Rahmen von Forschungsprojekten für die Untersuchung von Wirbelsystemen an Delta-Flügeln eingesetzt. Es ist beabsichtigt, beide Windkanäle gemeinsam für Forschungs- und Industrieuntersuchungen
einzusetzen.
In der 10. und 11. Woche ist das Forschungsgroßgerät selbst an seinen neuen Standort in der
Versuchshalle IBN in das oberste Stockwerk verbracht worden. Die Umsetzung wurde von einem Spezialunternehmen durchgeführt. Wegen der Größe des Gerätes - bzw. der nicht weiter zerlegbaren
Einzelteile – musste ein Fassadensegment des Gebäudes IA geöffnet werden. Durch die geöffnete
Fassade konnten die zerlegten Teile des Windkanals auf eine größere Außenfläche gerückt und dort von einem Schwerlastkran aufgenommen werden (Bilder 2 und 3).
Bild 2: Aufnahme eines Segmentes der geschlossenen Anlaufstrecke aus der geöffneten Fassade des Gebäudes IA
Bild 3: Aufnahme des Rotors mit Rotorgehäuse und Unterbaurahmen aus dem Geschoss 0 des Gebäudes IA
Alle Einzelteile wurden mit einem Schwerlastkran auf Tieflader verhoben (Bild 4) und auf die hinter den Versuchshallen gelegene Freifläche transportiert. Die Einbringung in das Gebäude IBN erfolgte wiederum mithilfe des Schwerlastkrans durch ein geöffnetes Dachsegment (Bilder 5 und 6).
Der Zusammenbau konnte inzwischen abgeschlossen werden. Es werden derzeit Feineinstellungsarbeiten
durchgeführt und der Antriebsmotor mitsamt der Treibriemen und der Rotorachse neu ausgerichtet. In Kürze beginnen die Probeläufe, um die Wiederaufnahme des Windkanalbetriebes vorzubereiten.
Bild 4: Transport der getrennten Hauptsegmente einschließlich Kontraktionsdüse und Diffusor zur Freifläche nördlich des Gebäudes ICN
Bild 5: Ein Hauptsegment der Anlaufstrecke vor der Öffnung im Dach des Gebäudes ICN
Bild 6: Einschwenken der Kontraktionsdüse durch das geöffnete Dach des Gebäudes ICN
Dieser Text ist erschienen im Newsletter 2014-1. Der gesamte Newsletter kann auf der Homepage der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften heruntergeladen werden. Zur Internetseite der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften.